Sonntag, 16. September 2012

Molsdorf... ...oder wie man harmlose Konzertbesucher mit Neuer Musik traktiert...

Am Sonnabend war ich Teil eines Experiments:
ein Diskussionskonzert im Rahmen der Erfurter Veranstaltungsreihe
„Musik baut Brücken“.



Leuchtturm

Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind
für Dorsch und Stint
für jedes Boot -
und bin doch selbst
ein Schiff in Not!





Das Schloss Molsdorf bietet eine stilvolle und intime Umgebung für Veranstaltungen im kleineren Rahmen.

Der Veranstalter von der Konzertagentur Thüringen, Komponist und langjähriger Freund von mir, hatte in seinen Jugendjahren vier Gedichte von Wolfgang Borchert als Lieder vertont.
27 Jahre später habe ich unter dem Eindruck dieser Lieder vier Bilder gestaltet. Eigentlich nur mehr für mich, um die Stimmung von Wort und Musik in meine (Bild)Sprache zu transformieren.

Nun – wiederum viele Jahre später - kam dieser Freund mit der Idee auf mich zu, man könne doch einmal den ritualisierten Rahmen des Konzertes verlassen und Kunstform übergreifend Musik und Bild in ihren gegenseitigen Beziehungen vorstellen, die in der Regel nicht ohne Weiteres erkennbaren Strukturen von Musik, Interpretation und bildnerischer Umsetzung aufzeigen und mit den Besuchern ins Gespräch kommen, diskutieren, Anregungen empfangen – und was sich sonst noch so ergeben möge...

Warum nicht?

Wir hatten ein kleines, aber feines Publikum von meist älteren Konzertbesuchern, denen man sofort anmerkte, dass sie wirklich interessiert waren.
Allerdings hatten sie noch keine Ahnung, was auf sie zukommen sollte...

Neue Musik ist nun einmal bei der ersten Begegnung mitunter etwas schmerzhaft. Und gelegentlich müssen sogar Fluchtreflexe unterdrückt werden.

Nach einer kurzen Einführung konfrontierten Pianistin und Sänger die Besucher mit dem ersten Lied.
Die Mienen waren reserviert, mitunter deutlich bemüht, kein allzu offensichtliches Missfallen auszudrücken.

Dann erklärte der Komponist die inneren Strukturen der Musik.
Das war nun wirklich Fachwissen, dem nicht jeder folgen konnte oder wollte. Allerdings war es durchaus eine wichtige Mitteilung, denn das Publikum wurde nun aufgefordert, beim nächsten Vortrag auf genau die bezeichneten Stellen zu achten.

               Was denn – das Ganze noch einmal anhören ?!

Einige Mienen wurden deutlich unbehaglich.
Aber sie hielten tapfer durch.

Schwieriger war es, die Leute zum Gespräch zu animieren, doch auch da fanden sich Mutige, die die Situation erkannten und akzeptierten, das dies kein übliches Konzert, sondern eher eine zwanglose Runde darstellte, in der fast alles erlaubt und möglich war.

Dann kam die Überleitung zur bildnerischen Umsetzung.
Wie ich bemerkte, eine Sache, mit der die meisten eher etwas anfangen konnten – zumal das „Gesamtwerk“ nicht flüchtig und damit ungreifbar wie die Musik verklang, sondern materiell und unveränderlich vor ihren Augen stand.
Außerdem war es kleinformatig und mit akzeptablen Farben und Formen durchaus erträglich.

Nach all dem – noch einmal der Vortrag desselben Liedes.

Und da zeigte sich auf einmal, dass nicht nur im Publikum, sondern auch bei den Vortragenden eine Veränderung stattgefunden hatte:
Pianistin und Sänger hatten das Lied mehr verinnerlicht, selbst ein neues Verständnis gefunden und das war deutlich zu hören –
auch von den Zuhörern, die nun schon wesentlich entspannter wirkten und begannen, die ganze Sache zu geniessen oder wenigstens zu akzeptieren.



Versuch es

Stell dich mitten in den Regen,
glaub an seinen Tropfensegen
spinn dich in das Rauschen ein
und versuche gut zu sein!

Still dich mitten in den Wind,
glaub an ihn und sei ein Kind -
laß den Sturm in dich hinein
und versuche gut zu sein!

Stell dich mitten in das Feuer,
liebe dieses Ungeheuer
in des Herzens rotem Wein -
und versuche gut zu sein!



Es folgte das zweite Lied - der gleiche Ablauf, aber etwas kürzer gefasst natürlich.
Die Barrieren waren gefallen und die Reaktion erfolgte jetzt unmittelbar.

Endlich kam die lang ersehnte Pause.
Bei Neuer Musik ist das etwas problematisch, da immer die Gefahr besteht, dass das Publikum die Chance zur Flucht ergreift und man somit im zweiten Teil vor leeren Stühlen agiert.
(Deshalb gibt es bei den meisten Konzerten Neuer Musik keine Pause.)

       Nicht in diesem Fall.

Ein Pärchen verliess zwar den Veranstaltungsort, aber nicht, weil Musik oder Bilder sie nicht ansprachen, wie mir die Frau erklärte, sondern sie wollten nicht soviel „zerredet“ haben.
Akzeptiert. Jeder hat schliesslich seine eigene Art der Rezeption.

Die anderen nutzten die Gelegenheit, sich die Bilder im Original genau anzuschauen und mit uns einzeln ins Gespräch zu kommen.

Nun auch sicher, dass keine weitere Gefahr drohte, erwarteten sie gespannt den zweiten Teil und hielten ihre Meinungen auch nicht mehr zurück.



Gedicht

Blume Anmut blüht so rot,
Blume Huldsam blaut daneben.
Blume Anmut ist das Leben,
Blume Huldsam ist der Tod.

Süß und herbe ist das Leben,
herb die Lust und süß die Not.
Blume Leben blüht so rot -
Blume Tod blüht blau daneben.



Am Ende schienen alle vollauf zufrieden zu sein.

Eine Besucherin äußerte sich sogar richtig begeistert über die Idee der Veranstaltung – das sei etwas, das sie hier und so überhaupt nicht erwartet hatte.

Alle – einschließlich Akteure – haben einen unterhaltsamen Abend verbracht, neue Erfahrungen gesammelt, neue Blickwinkel kennengelernt und neue Wege erfahren, wie man sich Unbekanntem (z.B. Neuer Musik) nähern und es vielleicht sogar verstehen und geniessen kann.

Selbst das Universum war uns wohlgesonnen, denn die sehr nette Museumsmitarbeiterin hatte den Impuls empfangen, die Deadline für die Security (der Zeitpunkt, an dem alle Alarmeinrichtungen eingeschaltet werden) eine halbe Stunde später als üblich anzugeben (22.30 Uhr statt 22.00 Uhr), als ob die leichte Überziehung schon eingeplant gewesen wäre :).

Der Abschied war herzlich und das gute Gefühl trug uns auf dem Heimweg in die verschiedenen Himmelsrichtungen.

Experiment gelungen...



Abschied

Das war ein letzter Kuß am Kai -
vorbei.

Stromabwärts und dem Meere zu
fährst du.

Ein rotes und ein grünes Licht
entfernen sich.




2 Kommentare:

  1. Ich sehe, es war also doch nicht so schlimm, wie anfangs gedacht, ja?

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    1. Nun, es war ein tolerantes Publikum, geduldig genug, um uns erst zu dem Punkt gelangen zu lassen, wo die veränderte Wahrnehmung begann...
      Wie gesagt, sie waren wirklich interessiert.

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